Angesichts der Huldigungen der Habeck-Rede denke ich über den Niedergang der politischen Rhetorik nach. Erstaunlich ist, wie inzwischen die absoluten Minimalanforderungen an politische Rede genügen, um absolut bahnbrechend zu wirken.
Das freut mich zwar, weil Habeck eben auch mit der (für mich) richtigen Haltung diese Wirkung erzielt. Es legt aber auch offen, wie schlecht die Konkurrenz ist.
Ich kann mich an keine neun Minuten freien Vortrags von Olaf Scholz erinnern, die ich oder irgendwer gerne gehört hätte. Der Oppositionsführer hat seit Jahrzehnten den Nimbus, ein guter Rhetoriker zu sein, was er aber immer, wenn es drauf ankam (bei seinen gescheiterten Bewerbungen um Spitzenämter in der CDU) vergeigt hat. Christian Lindner gilt ebenfalls als guter Redner, ist es vermutlich auch, hat aber absolut keine Haltung und nichts zu sagen, was jemanden abseits seines Mikropublikums interessiert.
Den Gipfel stellt ein Bundespräsident dar, der seit sechs oder sieben Jahren darum ringt, in seiner quälend langen Amtszeit endlich mal etwas fundiertes zu sagen. In einem Amt, das nichts anderes bietet als Bühnen.
Im Grunde kann mir das alles egal sein. Ich interessiere mich nicht für das Fortbestehen des Berufspolitikertums aus dem letzten Jahrhundert und seiner Rituale. Aber es wird vermutlich noch eine Weile anhalten.
Ich denke über die Linke nach und wie verloren sie ist.
Die Linke habe terrorisierte Juden in der ganzen Welt und in Israel schamlos im Stich gelassen, schreibt Eva Illouz in der Süddeutschen.
Der Begriff »links« habe für viele sein Versprechen verloren, es gebe
“wenig Hoffnung auf die Durchsetzungskraft linker Politik”, so Sebastian Friedrich im Interview mit Jacobin.
Die globale Linke lebe “in Texten und nicht in Wirklichkeiten”, schreibt Natan Sznaider wiederum in der Süddeutschen.
In Deutschland gibt es inzwischen auch eine rechte Linke mit einer Galionsfigur, die sich als konservative Linke beschreibt. Die mit ihr verbundene Hoffnung ist die elektorale Nivellierung der rechten Rechten, der AfD, die zweifellos nicht eintreten wird.
Was diese Formation offenlegt, ist zweierlei. Die Zuschreibungen rechts und links haben ihre in der Banalität der parlamentarischen Sitzordnung wurzelnden Ursprünge nie verloren. Auch die Rechte ist eine parlamentarische Rechte, die Mehrheiten anstrebt. Auch die Linke ist eine parlamentarische Linke, die keine Mehrheiten anstrebt, sondern gerade so stark sein will oder soll, dass die Rechte schwach genug ist. So ist immer alles ein triviales Nullsummenspiel aus Umfragen, Prozenten, Parlamentssitzen, Koalitionen.
Wer nun nicht mehr links sein will, weil die Linke verloren ist, aber weiterhin die Rechte bekämpfen will, weil es zu viel Zeit und Leben kosten würde, die Rechte wieder von der Macht zu trennen, der findet sich darin nicht mehr wieder.
Es ist kurios, dass die Geschichten aus der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts, in denen Sternenreiche stets von Kaisern und Imperatoren regiert werden, heute noch so populär sind. Ob Dune, Star Wars (immerhin: nicht die Prequels) oder jüngst Foundation: stets ist es ein Alleinherrscher, der die Galaxis oder gleich das Universum regiert.
Natürlich ist es einfacher, den Feind als Diktator zu zeichnen, denn in den meisten genannten Beispielen soll der Herrscher ja überwunden (Star Wars), oder zumindest ausgetauscht (Dune) werden. Hier ist Foundation wie in vielen weiteren Dingen interessanter, weil intelligenter: Die Dissidenten gehen einfach weg und lassen den unausweichlichen Niedergang sich ereignen (allerdings eher als Gnadenakt des Imperators).
Nun hat sich die Serienverfilmung von Foundation schon so viele gelungene und bitter nötige Freiheiten gegenüber der archaischen Buchvorlage erlaubt, dass man sich fragt, warum man hier nicht einfach eine durch und durch wohlmeinende, repräsentative Post-Demokratie eingerichtet hat, der die Prognosewissenschaft Psychohistory nach Jahrtausenden des Wachstums und Wohlstands den Verfall vorhersagt. Das wäre allemal näher am Zeitgeist – aber vermutlich einfach zu nah.
Anstelle dessen hat man dem Foundation-Imperator angedichtet, dass er sich selbst clont, so dass es stets mehrere Versionen verschiedenen Alters von ihm gibt. Das gibt immerhin Raum für interessante Kammerspiele.
Noch interessanter wäre die eigentlich ziemlich naheliegende Idee, dass es in diesen Franchises, zu denen hier auch Star Trek zählt, überhaupt keinen Bedarf und keine Möglichkeit für Politik und Herrschaft gäbe – einfach, weil es so unfassbar viel Platz gibt: Wem es irgendwo nicht passt, der fliegt einfach woanders hin und lässt sich dort nieder. So wie Graeber und Wengrow in Anfänge die längste Zeit der Menschheitsgeschichte darstellen.
An dem Interview der Süddeutschen Zeitung mit dem Soziologen Steffen Mau ist vieles bemerkenswert: Die Wortschöpfung des Polarisierungsunternehmers, oder die der Affektpolitik.
Am interessantesten fand ich den Befund, wonach die schwindende Loyalität der Wählerschaft für Parteien “ein riesiges Problem” sei: Wenn sich Parteien immer weniger auf Stammwähler verlassen könnten, so Mau, desto stärker müssten sie Affektpolitik betreiben, also eine über Emotionalisierung gesteuerte Politik.
Die armen, verunsicherten Parteien geben ihre Ambition auf, die Agenda zu setzen und ihre Kernfunktion, den öffentlichen Raum zu strukturieren.
Das heißt ja nichts anderes, als dass souveränere, rationaler agierende Wähler zu irrationaleren, immer getriebener agierenden politischen Organisationen führen; dass also Repräsentation, in der man den Menschen echte Selbstverwaltung und Demokratie noch nicht zutraute, zum Auslaufmodell geworden ist.
Und die Konsequenz daraus sollte lauten, jetzt den Schritt zur Basisdemokratie zu wagen.
Hotelfrühstücke haben mitunter den Vorteil, dass sie mich auf Ideen bringen. So kommt es, dass ich mich jetzt mit der Herstellung von Granola oder vergleichbaren Hafer/Knusper-Klumpen beschäftige. Die gibt es, wie ich herausgefunden habe, auch vom Hersteller „Kölln“, aber es ist nicht besonders anspruchsvoll, daher wird das kommendes Wochenende in Angriff genommen.
Natürlich ist das auch nicht besonders originell, aber ich bin in meinen Routinen gerade was Frühstücke betrifft derart eingespielt bis festgefahren, dass ich solchen Dingen erst aktiv begegnen muss, bis ich sie ausprobieren möchte.
Ansonsten ist das Reisen mit der Deutschen Bahn nachhaltig anstrengend bis unzumutbar geworden. War ich viele Jahre allen Widrigkeiten zum Trotz Verteidiger der Bahn, so ist es inzwischen nicht mehr auszuhalten. Keine einzige Fahrt verläuft mehr problemlos. Kommunikation in Zügen findet nicht statt. Am schlimmsten aber die Unart, Züge einfach komplett ausfallen zu lassen, teils wenige Minuten vor dem planmäßigen Eintreffen. Heute war ein Notarzteinsatz schuld. Dafür kann die Bahn sicher nichts, aber Notarzteinsätze sind nun auch kein neues Phänomen.
Mir macht das neben wachsendem Frust immer noch wenig aus, ich bin bahnerfahren und mobil. Aber den Wenigbahnfahrern, älteren Menschen und Familien im Bekanntenkreis muss ich von diesem Verkehrsmittel inzwischen aktiv abraten.
Lassen wir uns in letzter Zeit von Technologien und ihren Innovationsversprechen zu oft und leichtfertig hinters Licht führen?
Sei es der Blockchain/Crypto-Komplex, das Metaverse, Web3 oder jüngst die Large Language Models wie ChatGPT: Immer wieder und öfter werden weite Teile der Gesellschaft von Technologien in Irritation versetzt, die sich dann als unausgereift herausstellen, deren Erfolgs- und Innovationsversprechen sich nicht einlösen lassen, deren Erfinder und Initiatoren sich als Betrüger herausstellen, mit denen viele Leute viel Geld verlieren.
Fast scheint es, als seien wir alle zu Investoren und Risikokapitelgebern geworden, die nach iPhone, Facebook, Instagram & Co. nach dem nächsten großen Ding suchen. Wir investieren mindestens Zeit und Aufmerksamkeit: Was lohnt sich zu lernen und zu beherrschen? Wir haben Angst, etwas zu verpassen.
Und wir scheinen zu glauben, denn das haben wir die vergangenen Jahre gelernt, dass Wachstum und Fortschritt (die zunehmend infrage gestellt werden), nur noch mit einzelnen Großinnovationen möglich sind.
Vielleicht ist der Titel der Innovationsgesellschaft sogar treffender: Wir halten Innovationen (Smartphones) in Händen, auf denen wir Innovationen (Apps) zu nutzen, über die man dann über die nächsten Innovationen (was schließlich sonst?)spricht. Transformation, Wandel und Zeitenwende sind omnipräsent. Was bleibt wie es ist, gilt als veraltet.
Wahrhaftigkeit: Sagen, was ist. Aber was ist? Man kann die Welt ja nicht kennen. Jeder Ausschnitt ist willkürlich, jeder Augenblick flüchtig, jeder Mensch im Kern intransparent.
Also? Schweigen. Die Unruhe kommt ja stets auch dadurch zustande, dass alle immer etwas nicht nur für sich wollen, sondern zu allem Überfluss auch zu wissen glauben, was gut für andere ist.
Also? Ambient. Zen. Aber auch dies frei von Zwecken, frei von Zukünften. Das ist es, was die Menschen gerade lernen, dass es keine Zukunft gibt. Nicht nur keine schlechte, sondern gar keine. Die Zukunft ist nicht da, also gibt es sie nicht. Wir müssen uns dieser ganzen hochtrabenden Begriffe ohne Bedeutung ohnehin entledigen. Zukunft, Vergangenheit, Kapitalismus.
Sozialismus? Natürlich.
Aber ich kann mir die Zukunft vorstellen. Ich nicht.
Du kannst dir nicht vorstellen, dass es dich morgen gibt? Oder mich? Oder deinen Sohn? Würde ich mir das vorstellen, dann würde ich mich mir so vorstellen, wie ich heute bin, so als sei ich stets dieselbe Person. Ich weiß aber nicht, wer ich morgen sein werde, also kann ich mir mein morgiges Sein auch nicht vorstellen. Und das gilt für alle anderen Menschen ebenso. Ich kenne sie ja schon heute nicht. Wie dann also morgen?
Müsste ich einen ewigen Lieblingsfilm nennen, so wäre das sicher „Das Leben ist eine Baustelle“ mit Jürgen Vogel und der atemberaubenden Christiane Paul.
Der Film lief um die Jahrtausendwende rum gefühlt wöchentlich in irgendeinem dritten Programm am späteren Abend. Mal zappte ich hinein, mal schaute ich ihn einfach, mal schlief ich dabei ein. Nie wurde er langweilig, stets wuchs er mir mehr ans Herz. Ich hatte ihn später sogar auf VHS-Kassette.
Lustig ist, dass der Film heute morgen in einem Newsletter als „einer der tollsten Berlin-Filme überhaupt“ vorgestellt wurde. Ich habe ihn jahrelang überhaupt nicht als solchen wahrgenommen, sondern den Schauplatz erst beim vermutlich dreizehnten Schauen als solchen identifiziert – nämlich als ich bereits in Berlin lebte.
Das Leben ist eine Baustelle gibt es jetzt und noch bis zum 15. Februar in der ARD-Mediathek.
Heute fühlte ich mich einmal mehr irritierend gut regiert. Vom Bundesminister für Wirtschaft und Klima, der den Jahreswirtschaftsbericht vorlegte, ebenso wie vom Bundeskanzler und dessen besonnener – ja, eine überstrapazierte, aber dennoch richtige Vokabel – Haltung bezüglich der Panzerlieferungen.
Ich halte die Lieferung für richtig. Für ebenso richtig halte ich es aber auch, dass nicht binnen Tagen oder gar Stunden entschieden wurde, Kriegsgerät gen Osten zu schicken. Die Bundesrepublik ist im Kern ihrer politischen Kultur noch ein pazifistisches, unmilitärisches Land und das halte ich für gut und richtig so. Lese ich von einer angeblichen Irritation bei den Alliierten und Partnern, so hoffe ich, dass dies Ausdruck diplomatischer Ränke und keine ehrliche Haltung ist. Alles andere hielte ich für unverständlich.
An der wirtschaftlichen Entwicklung – CW: Ich finde Wachstum gut – lässt sich ein Befund ablesen, den ich gerade in Deutschland so oft bestätigt finde: Schwarzmalerei und „Schlimmfinden“ haben hier permanente Hochkonjunktur. Woran das liegt und ob es wirklich typisch deutsch ist, weiß ich nicht, würde mir aber wünschen, dass man mit diesem Wissen das nächste Aufregerthema direkt im Ansatz wieder runterkochen könnte – wenn nicht publizistisch, dann wenigstens mental.
Es ist ein ungewöhnlicher und sicher vorübergehender Zustand, sich gut regiert zu fühlen. Regierungen sind dafür da, die Themen abzuarbeiten, für die es gerade keinen gesellschaftlichen Konsens gibt. Daher operieren sie ja ständig im Modus des Kompromisses. Dass ich mich gerade auf der gefühlt guten Seite der Kompromisse wiederfinde, ist sicher Zufall und Glück geschuldet.
Ich bin mal wieder an diesem Punkt, den ich eigentlich anstrebe: Die Bücher sind gelesen, die Zeitung auch, der Feedreader ist leer, die Podcasts sind gehört, die Serien geschaut. Jetzt könnte ich selbst etwas beginnen, beispielsweise schreiben. Oder einfach mal selbstauferlegte Medienabstinenz und meditative Langeweile pflegen. Allein, die Leere beunruhigt mich. Hätte ich ein Buch griffbereit, ich fühlte mich wohler.
Das ist natürlich alles Unsinn und ein Luxusproblem, aber interessant finde ich, dass ich mich schon sehr lange nicht mehr gelangweilt habe, zuletzt womöglich als Kind – da aber in meiner subjektiven Erinnerung sehr oft. Heute liest man (irgendwo, ich habe keine Quelle parat), wie wichtig Langeweile sei. Verräterisch auch, wie ich sie oben direkt mit Meditation in Verbindung bringe.
Immerhin habe ich nun etwas geschrieben. Jetzt schaue ich die Wand an.