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es sei!

Hotelfrühstücke haben mitunter den Vorteil, dass sie mich auf Ideen bringen. So kommt es, dass ich mich jetzt mit der Herstellung von Granola oder vergleichbaren Hafer/Knusper-Klumpen beschäftige. Die gibt es, wie ich herausgefunden habe, auch vom Hersteller „Kölln“, aber es ist nicht besonders anspruchsvoll, daher wird das kommendes Wochenende in Angriff genommen.

Natürlich ist das auch nicht besonders originell, aber ich bin in meinen Routinen gerade was Frühstücke betrifft derart eingespielt bis festgefahren, dass ich solchen Dingen erst aktiv begegnen muss, bis ich sie ausprobieren möchte.

Ansonsten ist das Reisen mit der Deutschen Bahn nachhaltig anstrengend bis unzumutbar geworden. War ich viele Jahre allen Widrigkeiten zum Trotz Verteidiger der Bahn, so ist es inzwischen nicht mehr auszuhalten. Keine einzige Fahrt verläuft mehr problemlos. Kommunikation in Zügen findet nicht statt. Am schlimmsten aber die Unart, Züge einfach komplett ausfallen zu lassen, teils wenige Minuten vor dem planmäßigen Eintreffen. Heute war ein Notarzteinsatz schuld. Dafür kann die Bahn sicher nichts, aber Notarzteinsätze sind nun auch kein neues Phänomen.

Mir macht das neben wachsendem Frust immer noch wenig aus, ich bin bahnerfahren und mobil. Aber den Wenigbahnfahrern, älteren Menschen und Familien im Bekanntenkreis muss ich von diesem Verkehrsmittel inzwischen aktiv abraten.

Lassen wir uns in letzter Zeit von Technologien und ihren Innovationsversprechen zu oft und leichtfertig hinters Licht führen?

Sei es der Blockchain/Crypto-Komplex, das Metaverse, Web3 oder jüngst die Large Language Models wie ChatGPT: Immer wieder und öfter werden weite Teile der Gesellschaft von Technologien in Irritation versetzt, die sich dann als unausgereift herausstellen, deren Erfolgs- und Innovationsversprechen sich nicht einlösen lassen, deren Erfinder und Initiatoren sich als Betrüger herausstellen, mit denen viele Leute viel Geld verlieren.

Fast scheint es, als seien wir alle zu Investoren und Risikokapitelgebern geworden, die nach iPhone, Facebook, Instagram & Co. nach dem nächsten großen Ding suchen. Wir investieren mindestens Zeit und Aufmerksamkeit: Was lohnt sich zu lernen und zu beherrschen? Wir haben Angst, etwas zu verpassen.

Und wir scheinen zu glauben, denn das haben wir die vergangenen Jahre gelernt, dass Wachstum und Fortschritt (die zunehmend infrage gestellt werden), nur noch mit einzelnen Großinnovationen möglich sind.

Vielleicht ist der Titel der Innovationsgesellschaft sogar treffender: Wir halten Innovationen (Smartphones) in Händen, auf denen wir Innovationen (Apps) zu nutzen, über die man dann über die nächsten Innovationen (was schließlich sonst?)spricht. Transformation, Wandel und Zeitenwende sind omnipräsent. Was bleibt wie es ist, gilt als veraltet.

Wahrhaftigkeit: Sagen, was ist. Aber was ist? Man kann die Welt ja nicht kennen. Jeder Ausschnitt ist willkürlich, jeder Augenblick flüchtig, jeder Mensch im Kern intransparent.

Also? Schweigen. Die Unruhe kommt ja stets auch dadurch zustande, dass alle immer etwas nicht nur für sich wollen, sondern zu allem Überfluss auch zu wissen glauben, was gut für andere ist.

Also? Ambient. Zen. Aber auch dies frei von Zwecken, frei von Zukünften. Das ist es, was die Menschen gerade lernen, dass es keine Zukunft gibt. Nicht nur keine schlechte, sondern gar keine. Die Zukunft ist nicht da, also gibt es sie nicht. Wir müssen uns dieser ganzen hochtrabenden Begriffe ohne Bedeutung ohnehin entledigen. Zukunft, Vergangenheit, Kapitalismus.

Sozialismus? Natürlich.

Aber ich kann mir die Zukunft vorstellen. Ich nicht.

Du kannst dir nicht vorstellen, dass es dich morgen gibt? Oder mich? Oder deinen Sohn? Würde ich mir das vorstellen, dann würde ich mich mir so vorstellen, wie ich heute bin, so als sei ich stets dieselbe Person. Ich weiß aber nicht, wer ich morgen sein werde, also kann ich mir mein morgiges Sein auch nicht vorstellen. Und das gilt für alle anderen Menschen ebenso. Ich kenne sie ja schon heute nicht. Wie dann also morgen?

Müsste ich einen ewigen Lieblingsfilm nennen, so wäre das sicher „Das Leben ist eine Baustelle“ mit Jürgen Vogel und der atemberaubenden Christiane Paul.

Der Film lief um die Jahrtausendwende rum gefühlt wöchentlich in irgendeinem dritten Programm am späteren Abend. Mal zappte ich hinein, mal schaute ich ihn einfach, mal schlief ich dabei ein. Nie wurde er langweilig, stets wuchs er mir mehr ans Herz. Ich hatte ihn später sogar auf VHS-Kassette.

Lustig ist, dass der Film heute morgen in einem Newsletter als „einer der tollsten Berlin-Filme überhaupt“ vorgestellt wurde. Ich habe ihn jahrelang überhaupt nicht als solchen wahrgenommen, sondern den Schauplatz erst beim vermutlich dreizehnten Schauen als solchen identifiziert – nämlich als ich bereits in Berlin lebte.

Das Leben ist eine Baustelle gibt es jetzt und noch bis zum 15. Februar in der ARD-Mediathek.

Heute fühlte ich mich einmal mehr irritierend gut regiert. Vom Bundesminister für Wirtschaft und Klima, der den Jahreswirtschaftsbericht vorlegte, ebenso wie vom Bundeskanzler und dessen besonnener – ja, eine überstrapazierte, aber dennoch richtige Vokabel – Haltung bezüglich der Panzerlieferungen.

Ich halte die Lieferung für richtig. Für ebenso richtig halte ich es aber auch, dass nicht binnen Tagen oder gar Stunden entschieden wurde, Kriegsgerät gen Osten zu schicken. Die Bundesrepublik ist im Kern ihrer politischen Kultur noch ein pazifistisches, unmilitärisches Land und das halte ich für gut und richtig so. Lese ich von einer angeblichen Irritation bei den Alliierten und Partnern, so hoffe ich, dass dies Ausdruck diplomatischer Ränke und keine ehrliche Haltung ist. Alles andere hielte ich für unverständlich.

An der wirtschaftlichen Entwicklung – CW: Ich finde Wachstum gut – lässt sich ein Befund ablesen, den ich gerade in Deutschland so oft bestätigt finde: Schwarzmalerei und „Schlimmfinden“ haben hier permanente Hochkonjunktur. Woran das liegt und ob es wirklich typisch deutsch ist, weiß ich nicht, würde mir aber wünschen, dass man mit diesem Wissen das nächste Aufregerthema direkt im Ansatz wieder runterkochen könnte – wenn nicht publizistisch, dann wenigstens mental.

Es ist ein ungewöhnlicher und sicher vorübergehender Zustand, sich gut regiert zu fühlen. Regierungen sind dafür da, die Themen abzuarbeiten, für die es gerade keinen gesellschaftlichen Konsens gibt. Daher operieren sie ja ständig im Modus des Kompromisses. Dass ich mich gerade auf der gefühlt guten Seite der Kompromisse wiederfinde, ist sicher Zufall und Glück geschuldet.

Ich bin mal wieder an diesem Punkt, den ich eigentlich anstrebe: Die Bücher sind gelesen, die Zeitung auch, der Feedreader ist leer, die Podcasts sind gehört, die Serien geschaut. Jetzt könnte ich selbst etwas beginnen, beispielsweise schreiben. Oder einfach mal selbstauferlegte Medienabstinenz und meditative Langeweile pflegen. Allein, die Leere beunruhigt mich. Hätte ich ein Buch griffbereit, ich fühlte mich wohler.

Das ist natürlich alles Unsinn und ein Luxusproblem, aber interessant finde ich, dass ich mich schon sehr lange nicht mehr gelangweilt habe, zuletzt womöglich als Kind – da aber in meiner subjektiven Erinnerung sehr oft. Heute liest man (irgendwo, ich habe keine Quelle parat), wie wichtig Langeweile sei. Verräterisch auch, wie ich sie oben direkt mit Meditation in Verbindung bringe.

Immerhin habe ich nun etwas geschrieben. Jetzt schaue ich die Wand an.

Ich lade eine Audacity-Session vom 28. Dezember, die zwei Spuren von rund zehn Minuten Länge enthält. Sie sind mit der abwegigen Lärmsoftware Samplebrain von Aphex Twin entstanden. Die Samples stammen aus einer vor rund zwanzig Jahren entstandenen Komposition, die ich auf einer alten Festplatte wiedergefunden habe. Das Erzeugnis vom 28. Dezember hat nicht das geringste mit diesen zu tun.

Ich separiere die interessanteren von den zu abstoßenden Passagen der beiden Spuren, stelle neue her, die ich zueinander verschiebe, lasse hier einen Part aus-, dort wieder einen einfaden, verändere Tonhöhen, füge Hall hinzu. Nichts davon folgt einem Plan. Das Vergnügen ist allein meinerseits.

Ich schreibe einige Zeilen auf, die ich mit dem entstehenden Stück assoziiere.

Das stete Unausgeruhtsein. Die morgendlichen Zweifel. Der Unvernunft.

So oder so oder so wird es heißen. Es ist Der Unvernunft.

Hin- und Rückfahrt bei kaltem Regen: Sehr erfrischend.

Ich lese Artikel aus dem Themenfeld der Policy Diffusion, das untersucht, warum Policies in anderen Ländern kopiert werden und andere nicht. Mein bevorzugtes Beispiel ist niederländische Verkehrspolitik, aber man könnte auch portugiesische Drogenpolitik und vieles andere anführen.

Zugleich gibt es natürlich Beispiele, in denen Policy Diffusion durchaus passiert, etwa wenn Länder eine Industriepolitik wie die USA mit dem Inflation Reduction Act praktizieren, um Unternehmen von der Abwanderung abzuhalten. Nur geschieht das unter Konkurrenzbedingungen und das ist bei den obigen, schönen Beispielen in der Regel nicht gemeint.

Vielmehr scheint es darum zu gehen, dass der lösungsorientierte Staat sich doch einfach nur umschauen müsste, und dann sehen würde, dass die niederländische Verkehrspolitik, um bei meinem bevorzugten Beispiel zu bleiben, gut ist, und sie anschließend nachzuahmen.

Dieser Wunsch nach Lösungsorientierung des Staates scheint mir sehr verbreitet zu sein, gerade auch im Kontext der Klima- und Umweltpolitik, aber auch weit darüber hinaus. Er ist eng verwoben mit dem Glauben, es gäbe eine offenkundig richtige Lösung, sie läge gleichsam auf der Straße, entspränge einem gesunden Menschenverstand oder ähnlichem und es haperte lediglich an der Umsetzung.

Allerdings ist der Staat in seiner, ist Politik in ihrer grundlegenden Architektur gar nicht auf die Lösung von Problemen hin konzipiert. Dagegen sprechen die stets zu kurzen Wahlperioden, die dem Gesetzgeber ja bekanntlich langfristiges Denken verunmöglichen, so das Lamento. Dagegen sprechen Gewaltenteilung und Rechtsstaat, die einen Staat zwingen, das letztinstanzlich ausgeurteilte Recht eines Unternehmens hinzunehmen.

Es gibt gute Gründe zu glauben, dass der Staat Probleme zu lösen haben. Das entspringt der Wohlfahrtsstaatlichkeit, der Art, wie Parteien, Politikerinnen und Politiker kommunizieren und der eingeübten politischen Praxis in modernen Demokratien.

Aber das sind alles bis auf Weiteres Thesen und Denkrichtungen, die sich bewähren müssen. Daher lese ich ja auch Artikel zum Thema.

Ich möchte hier alleine schon deshalb ständig bloggen, weil die Oberfläche so herrlich ist. Schwarz auf weiß, schnörkellos, die wenigen Icons dezent ausgegraut, bis man sie benötigt. Besser als „Medium“ jemals gewesen sein wird, behaupte ich.

Am schönsten ist ein Artikel ja unmittelbar vor dem Klick auf das Veröffentlichen, wenn er eigentlich fertig ist, aber noch fortgesetzt werden könnte. Vielleicht ist das besonders sinnbildlich für die Entscheidung:

Die Entscheidung ist vor der Entscheidung eine andere als nach der Entscheidung.

Sehr durchdacht und außergewöhnlich finde ich auch die Möglichkeit, hier bei write.as einzustellen, wie die Beiträge dargestellt werden sollen. Es gibt drei Möglichkeiten:

  • Blog: Dates are shown. Latest posts listed first.
  • Novel: No dates shown. Oldest posts first.
  • Notebook: No dates shown. Latest posts first.

Ich glaube, ich stelle dieses Blog gleich auf Notebook.

Der überwältigende Einfluss für die Entstehung des Westens ging vom Christentum aus, sagt der britische Historiker Tom Holland, der ein Buch zum Thema geschrieben hat, im FR-Gespräch mit Michael Hesse

Das ist so ein Satz (aus dem Perlentaucher), an dem ich immer länger herumkauen kann, je mehr ich drüber nachdenke. Was heißt denn „ging vom Christentum aus“? Hat das Christentum (was ist das? Wer? die „Entstehung des Westens“ (wo genau ist das? Was heißt Entstehung?) beabsichtigt? War sie dessen Plan oder Ziel? Sicher nicht.

Geht es letztlich nur um die immer gleiche Pfadabhängigkeit, in der „Dinge“ aus den „Dingen“ hervorgehen, die vor ihnen bestanden, wobei jedes Verb, sei es „hervorgehen“ oder „entstehen“ überhaupt nichts erhellt?

Sicherlich tue ich dem Herren Tom Holland, dessen Interview der Perlentaucher ja auch lediglich paraphrasierte, höchst unrecht – und auch der oben zitierte Abschnitt ist im Original viel länger –, aber solche Sätze machen mich inzwischen dann doch sehr unruhig. Sie sind ja auch endemisch: Stets wird von hoch abstrakten Dingen wie dem „Kapitalismus“ gesprochen, diese werden mich verunklarenden Verben zueinander in Beziehung gesetzt und die Weltbeschreibung ist so unbrauchbarer als je zuvor.

Ich weiß inzwischen zu schätzen, dass Niklas Luhmann jegliche Ontologie (die Rede von Dingen) aufgeben und gegen Unterscheidungen austauschen wollte. Ich müsste es nur beherzigen.