Meine das Digitale betreffende Desillusionierung ist jetzt endgültig, vollständig und unwiderruflich, wie mir heute morgen klar wurde, als ich auf dem Fußboden des Wohnzimmers sitzend H.s Geburtstagsgeschenke in Zeitungspapier einpackte, mich dabei hier und dort festlas, über Trump natürlich, Macron, die Gentrifizierung in Berlin, ein weithin unbekanntes Tal in Niederbayern, Knausgårds schrecklichen Kampf mit der Berühmtheit, zwischendurch meine von Druckerschwärze geschwärzten Finger bestaunte, das Kreuzworträtsel der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung schnell mit dem Bleistift löste und nach getaner Arbeit feststellte, dass ich ein paar Bücher und zwei Eintrittskarten zum Konzert in Zeitung eingepackt hatte. Ich hatte einen Haufen Papier mit noch mehr Papier umwickelt und am Ende sah es schön aus, und ich hatte ein paar interessante Dinge gelesen. Auf Papier. Ich hatte die Zeitungen wirklich nur als Geschenkpapier gekauft.

Papier. Der Leibhaftige. Satan, Beelzebub und Duweißtschonwer in einem für uns angebliche Netzbewohner. Aber

Aber erstens hat keine verdammte Scheissdatenkrake Kenntnis von meiner Lektüre genommen, niemand optimiert seine für mich maßgeschneiderte Nervwerbung aufgrund meines heutigen Leseverhaltens. Überhaupt hüpfen und tanzen keine grellbunt-beweglichen Bildchen über papierne Seiten und verhindern Lesetätigkeit. Wie toll ist das allein schon? Auch erklärt dir niemand zum millionsten Mal, dass man Cookies zur Verbesserung der Welt benutze und ob ich damit einverstanden sei, und egal wie oft ich OK sage, sie fragen mich wieder und wieder und wieder, und immer sage ich OK, obwohl ich es eigentlich überhaupt nicht OK finde, ich finde das Scheiße, aber Finde es Scheiße ist kein Button, außer OK gibt es immer nur Abbrechen, das muss dieses Digitale sein: Tertium non datur.

Zweitens denke ich an mein altes Blog, Sichten und Ordnen, manchmal scrolle ich da nostalgisch drin rum und weine ein bisschen, weil all die Links mittlerweile ins Nichts führen, tot. Die Chefideologen des Digitalen – und ja, André Spiegel, ich meine hier vor allem dich! – erzählen mir den ganzen Tag, nur im Netz sei alles für die Ewigkeit aufbewahrt, nur das im Netz Veröffentlichte sei überhaupt im strengen Sinn veröffentlicht, aber die Erfahrung lehrt das genaue Gegenteil: Das im Netz Veröffentlichte hat eine Halbwertszeit von einigen Minuten, danach zerfällt es, unerbittlich.

Einzige Ausnahme: Der Shitstorm. Klar, wenn du dich verplapperst, ein einziger Satz, der aus dem Kontext gerissen dir falsch ausgelegt und dann im Munde umgedreht wird, und der Richtige leitet das mit den richtig bösen Absichten in die richtig falschen Kanäle: Dann wirst du den einen blöd dahingesagten Satz natürlich wirklich nicht mehr los. Der bleibt dann für die Ewigkeit an dir kleben und du kannst dich auch direkt umbringen, denn leider hasst dich jetzt die ganze Welt, Pech gehabt.

Meine besten Netzlektüren hatte ich beim Blogozentriker. Das war Literatur, richtig gut, traf ins Herz der Gegenwart, tägliche Lieferung per Googlereader. Ach, die alten Zeiten! Fantastisch. Kurz, sehr kurz funktionierten diese ganzen Versprechungen von der schönen neuen Jetztzeit. Aber heute, ein paar Jahre später? Alles weg. Vergessen. Das Netz vergisst dich schneller als du Piep sagst, und kein Suhrkamp und kein Rowohlt und nicht mal Heyne oder Ullstein Trash Pulp Press druckt einen Blogo.

Also, um das hier kurz zu resümieren: Gedruckt wirst du, wenn du lange genug Speichel leckst und ansonsten so schreibst, wie man an der Schreibschule halt so das DIN-genormte Schreiben im auktorialen Imperfekt mit dem auf 32 Grad gebogenen Spannungsbogen lernt. Die andern können im Netz veröffentlichen und haben die Wahl zwischen OK (Shitstorm), oder ABBRECHEN (ewige Vergessenheit).

Und so fühlt sich das für mich an im Jahre 2017, ihr Narren vom Techniktagebuch, und da habe ich von NSA, den Five Eyes, der gehackten US-Wahl und meiner komplett verrückten Paranoia im ganz allgemeinen noch gar nicht geredet, aber ihr crazy bedrogten Facebookgedankenleser denkt euch den Rest ja eh selber dazu. Man muss nur 7 und 5 zusammenzählen.

Synthetisch a priori, ihr Hirnis.