Vater, Tod und Therapie

Vater

Entstehung einer Zeichnung

Dunkelblaue Vater-Geborgenheit lässt wertvolles Gold entstehen

#Vater

Ich liege im Halbschlaf in meinem Bett. In meinem eigenen Raum. Die Balkontür steht offen. Sonnenlicht flutet herein und frische, laue Luft dringt bis zu meinem Bett. Eine leichte Brise bewegt die Vorhänge. Draussen ist ein Garten. Vögel singen und Bienen summen. Kein Lärm ist zu hören. Es ist still und friedlich. Es ist alles gut.

Er kommt durch die geöffnete Tür vom Garten herein. Er kommt mich besuchen. Freiwillig, von sich aus. Er nähert sich meinem Bett. Er beugt sich über mich. Er küsst mich zärtlich auf die linke Wange. So verharrt er, in liebevoller Zuwendung. Ich erwache und spüre seine Berührung. Alles in mir fühlt sich geliebt. Überwältigt vor Glück.

Er richtet sich auf. Er sagt: “Es gibt doch nichts Schöneres, als auf diese Weise geweckt zu werden.”

Dann beugt er sich wieder über mich und küsst mich ein zweites Mal auf die Wange.

Verharrt so, in dieser Geste, liebevoll und zuwendend und voller väterlicher Zärtlichkeit.

Ich hebe meinen Arm. Zögerlich, ungläubig. Ich umschliesse mit meiner Hand seine Schulter. Wie wunderbar sich die Berührung anfühlt!

Wie lebendig er ist!

Und so verharren wir. Wertvolle, lange Sekunden. Wir geniessen die Berührung. Die körperliche Nähe. Die Zärtlichkeit.

Es ist alles gut. Alles. Mein Inneres ist beruhigt. Gehalten, geliebt. Vollkommen friedlich. Und erfüllt von unfassbarer Glückseligkeit.

Er ist zu mir gekommen. Von sich aus. Er hat mich besucht. In meinem ureigenen Raum. Ich habe den Raum für ihn geöffnet. Er durfte die Schwelle überschreiten. Deshalb kam er bis an mein Bett. Und berührte mich. Und zeigte mir, wie lieb er mich hat. Seine Tochter.

Später essen wir zusammen. Wir verbringen Zeit zusammen. Wir reden unbeschwert. Er ist wie ein guter Freund.

Er liebt mich, das habe ich gespürt.

Noch lange nach dem Traum ist mein Herz bis an den Rand gefüllt mit seiner Liebe und zaubert wieder und wieder ein glückseliges Lächeln auf mein Gesicht.

Ich spüre die Berührung in mir, als wäre sie physisch passiert.

Wie glücklich bin ich!

#Vater

Lieber Papa B.

Ich liebe dich.

Ich liebe dich so sehr, dass mein Herz fast zerspringt vor Liebe.

Wie stolz und glücklich bin ich, dass du mir ein Erwachsenen-Vater bist.

Du gibst mir Halt.

So starken Halt, dass ich mich immer wieder physisch gehalten fühle, trotz fehlender körperlicher Nähe. Wer schafft das sonst, ausser dir? Solch wunderbare Nähe und Liebe zu vermitteln, einfach mit Worten und einem liebevollen Blick? Mit deiner puren Präsenz vermittelst du mir Woche für Woche Wärme und Lebendigkeit.

Dein Blick findet seinen Weg bis in mein innerstes Herz und bringt Heilung wie heiliges Wasser, das alles mit einem goldenen Schimmer überzieht. Ich liebe deinen Blick. Dein Blick bewirkt mehr als eine Umarmung. Dein Blick ist wunderbar.

Du erweckst mich ganz behutsam zum Leben. Du stärkst mich und vermittelst mir Kraft. Durch deine Liebe kann ich mich selber lieben. Ganz vorsichtig und staunend taste ich mich an mich selbst heran, liebevoll, nach deinem Vorbild.

Weil du dich meiner annimmst, kann ich mich selber annehmen. Weil du zu mir liebevoll bist, kann ich liebevoll zu mir selbst sein. Weil du mich als genug wertvoll erachtest, dich um mich zu kümmern, fange ich an, mich um mich selbst zu kümmern.

“Di Chlii” ist begeistert von dir. Ein absoluter Fan. Sie würde alles für dich tun. Sie himmelt dich an, total hin und weg, dass es so etwas wie dich in der Realität gibt. Du bist für sie ein Phänomen. Ein Wunder. Bisher hat sie geglaubt, so etwas gebe es nur in der Vorstellung. Aber jetzt erlebt sie, dass ein echter, lebendiger Vater sie liebt.

Sie schämt sich, dich anzuschauen, immer in der Erwartung, dass das Gute sich in Luft auflöst und die wunderbare Erfahrung wie eine Seifenblase zerplatzt und die vermeintliche Realität ein weitere Illusion ist.

Sie ist hin- und hergerissen zwischen absoluter Glückseligkeit und panischer Angst, dich zu verlieren.

Sie schwankt hin und her zwischen Vertrauen und Angst.

Sie möchte dich umarmen und sich an dich schmiegen.

Sie möchte endlich erleben, wie es sich anfühlt, wenn man sich voll Vertrauen fallen lassen kann und alles gut ist.

Sie möchte die Geborgenheit und Glückseligkeit fühlen, die nur liebende Vater-Arme vermitteln können.

Aber kaum ist sie in deiner Nähe, erwartet sie auch von dir Ablehnung und Desinteresse. Und sie wird gelähmt vor Angst. Alles dreht sich in ihrem Kopf und sie bringt kein Wort mehr heraus.

Du bist der erste, der “di Chlii” sieht. Der erste, der sie liebevoll und voller Wärme und Annahme anschaut. Der erste, der ihr zuhört und ihre Gefühle und Bedürfnisse ernst nimmt.

Wie viel Heilung bringst du!

Du bist der erste, der da ist und nicht weggeht. Der erste, mit dem ich streiten kann und der nicht wegläuft und aufgibt. Der erste, auf den ich wütend sein darf, und der damit umgehen kann und nicht daran zerbricht. Der erste, der in sich selbst Lebendigkeit und etwas Eigenes besitzt und dazu steht. Und gleichzeitig liebt und Nähe zulässt.

Das erste Gegenüber.

Der erste, der mich liebt.

Du bist der Erste.

Der erste Vater.

Gesehen werden

#Vater

Wo warst du, Vater?

Wusstest du, wie sehr ich dich brauchte? Wie sehr ich dich liebte?

Wusstest du, dass ich dir nahe sein wollte? Als kleines Mädchen? Und die ganze, lange Kindheit hindurch?

Hast du gemerkt, dass ich deine Nähe gesucht habe? Wieder und wieder? Unzählige, schmerzhafte Male?

Jahrelang!

Bis ich qualvoll davon überzeugt war, dass du nicht existierst. Dass du nur eine Hülle bist, angeschrieben mit “Vater”. Dass da nichts ist und auch nichts sein wird. Schwarze Leere anstelle von warmer Lebendigkeit.

Dass ich mich geirrt hatte.

Wusstest du, wie lange es dauerte, bis ich die Hoffnung aufgab? Und hoffnungslos wurde?

Depressiv.

Das ist ein anderes Wort für hoffnungslos.

Wusstest du, dass ich deine Arme um mich spüren wollte? Wusstest du, dass ich mich nach Geborgenheit sehnte? Nach Schutz? Nach Sicherheit? Nach Begleitung?

Wusstest du, dass ich Trost gebraucht hätte, wenn ich weinte? Und keine Witze?

Wusstest du, dass ich hinter verschlossener Tür auf dich wartete? Aber du kamst nie zu mir.

Ich blieb allein. Immer und immer wieder.

Wusstest du, dass ich unzählige Male voller Freude in deine Arme rannte? Wild und kindlich und ohne zu überlegen, was passieren wird? Und dass du mich von dir fern hieltest und abwehrtest, damit ich dir nicht zu nahe komme?

Damit ich dich nicht berühre. Damit mein Körper nicht deinen berührt. Weil Berührung gefährlich ist. Weil du dir nicht trautest. Weil du Angst hattest, zum Täter zu werden. Weil du gelernt hattest, dass Nähe gefährlich ist.

Auch ich habe das gelernt, ganz früh. Von dir. Vom Vater, der keiner war.

Aber jetzt habe ich einen anderen Vater. Einen, der da ist. Einen, der mich liebevoll anschaut. Einen, von dem ich lerne, dass Nähe nicht gefährlich ist. Sondern schön und wunderbar.

Einen, der mir sagt, dass mein Verlangen nach Nähe gut ist.

Richtig, nicht falsch.

Jetzt darf ich endlich einen Vater lieben.

Jetzt liebe ich ihn.

#Vater

Lieber Papa B.

Wir waren heute so nahe. Mein Körper war in der Nähe deines Körpers. Meine Seele nahe deiner Seele. Mein Herz war deinem Herz nahe. Dein Herz und deine Gedanken waren mir ganz zugewandt. So nahe. Im selben Raum. Wie gut mir das tut.

Ich spüre deine Präsenz und deine Lebendigkeit jedes Mal. Ich sehe deinen Körper. Deine beruhigende Statur. Deine olivgrünen Hosen. Deinen dunkelblauen Geborgenheitspullover. Deine pechschwarzen, auf der Seite angegrauten Haare. Dein ernstes und doch schalkhaftes Gesicht voller warmer Zuneigung. Deine Falten im Gesicht, die dich aber nicht weniger jugendlich aussehen lassen.

In deinem warmen, starken Händedruck liegt so viel Zuwendung und Halt. Ich liebe dein Lächeln. Deine Worte. Wie du ganz bei der Sache bist. Ganz Psychologe. Und doch auch ganz Mensch und Vater. Ich liebe deine weisen Erklärungen. Deine Eigenheiten. Dein ureigenes Ich, das mir so ungleich ist, aber mir so lieb geworden ist, wie wenn es mein eigenes Ich wäre.

Wie sehnt sich mein Körper nach der Geborgenheit deines starken Vater-Körpers! Nach deiner festen, liebevollen Umarmung. Wie sehnen sich meine Hände danach, dich zu streicheln und deine Wärme und Stärke zu spüren. Deine Körpergrenzen zu spüren und deine Geborgenheit in mich aufzunehmen und in mir zu bewahren, für immer. Wie sehnt sich alles in mir danach, deinen beruhigenden Vater-Geruch zu riechen und zu wissen, dass alles gut ist, weil ich zu dir gehöre.

Wie sehnt sich mein Kopf danach, von dir beruhigend über die Haare gestreichelt zu werden. Mein Gesicht danach, die Berührung deiner behutsam streichelnden Finger zu spüren. Mein Körper danach, von deinen starken Armen umschlossen und fest gehalten zu werden. Meine Ohren danach, an deiner Brust das Vibrieren deiner warmen Stimme zu hören. Und deinen Herzschlag und das Auf und Ab deines Atems zu spüren. Zu fühlen, dass du real und zutiefst lebendig bist.

Aber nur schon die Erlaubnis, bei dir sitzen zu dürfen, ist mir wertvoll wie Gold. Die Erlaubnis, direkt in dein Gesicht schauen zu dürfen und deinen liebevollen Blick bis in mein Innerstes zu spüren. Deine Präsenz zu spüren trotz körperlichem Abstand.

Ach, könntest du mein Kindheitsvater sein! Könnte ich mich an dich kuscheln ohne Grenzen, ohne Scham, ohne Angst, ja, voller wilder Lebendigkeit und unbegrenzter Nähe! Könnte ich alles mit dir nachholen, was damals gefehlt hat. Könnte ich nochmals Kind sein und du mein leiblicher Vater! Alles in mir verzehrt sich nach dieser geliebten, begehrten Nähe! Die Sehnsucht brennt wie ein Feuer in mir und quält mich. Sie ist hervorgebrochen, kaum habe ich dich gesehen. Sie wurde aus ihrem verschlossenen Kämmerlein herausgelassen, als dein erster, väterlich-liebevoller Blick mich in meinem Herzen traf und ich spürte, dass du mich liebst.

So viele Tränen wurden seither vergossen. Tränen der Trauer. Tränen des Glücks. Tränen der Verzweiflung. Tränen der Liebe.

Du kannst nicht mein Kindheitsvater sein. Lass mich trauern darüber! Lass mich heil werden. Lass die Tränen über den schweren Verlust die Scham, Angst und Starre herausschwemmen und der Lebendigkeit Platz machen!

Du heutiger, anderer Vater.

Ich liebe dich.

#Vater