baden

von Konrad

Seine Arme umkrampfen die eigenen Beine. Leichtes Wippen in Hockstellung. Nackt. Das warme Wasser fließt viel zu langsam. Bedeckt erst knapp seinen Penis. Besser, die Wanne wäre schon voll. Besser, der vielleicht einzige Schutz wäre stark, vorhanden, zuverlässig. Aber das Wasser fließt langsam. Plätschert statt zu rauschen. Vorhersehbar. Jeder versucht, seine Wanne so heiß und so voll zu bekommen, wie es nur geht an diesem Abend. In dieser Nacht, der Nacht der Schwärze.
Sie schleicht sich in diese Welt, nimmt sie ein. Stürzt auf sie herab. Und wenn sie sie verlässt, nimmt sie sich Leben mit. Tausende, Hunderdtausende. Nur geplatzte Körper bleiben. Ungezählte, rotbespritzte Wände voller Brocken. Die heiße Wanne hilft. Manche sagen, gegen die Schwärze. Auf jeden Fall gegen die Kälte, die sie mitbringt. Wenn die Wanne nur schön voll ist. Das Wasser reicht bis über den Bauchnabel, als er es spürt. Kalt, schneidend eisig. Schnell legt er sich. Zu wenig. Die Knie, der Bauch, so nackt und unbedeckt und schutzlos. Im Klammergriff des Unfassbaren, dunkle Seite des Mondes. Das Wasser plätschert gemächlich weiter, er zittert am ganzen Körper. Es ist bestimmt zu wenig, zu spät. Es wird ihn fassen und nur Matsch hinterlassen. Reife Melone aus dem vierten Stock. Er hat die Lichter angelassen. Jetzt kann er das Annähern auch noch hören. Glühdrähte reißen, Popp, Funken, Glas, Kurzschlussgeruch. Es kommt näher. Wohnzimmer. Flur. Geräusche reißender Haut, blutiges Kratzen. Schwarze Wogen fluten die Tür, kriechend, suchend. Scherben rieseln aus der Lampe über der Wanne in sein Gesicht. Die Schwärze vibriert über ihm, in ihm. Rasender Schmerz in den Beinen. Rotierende Speerspitzen, Granatsplitter, Scherben im Gelenk . Die Wogen fluten, füllen, löschen die Helligkeit aus der Welt. Dann packt es ihn. Katapultiert ihn. Weiches Fleisch rast gegen harte Fliesen. Decke, Wand, Haut reißt und Knochen brechen. Machtloses Taumeln. Zerfasert. Es packt alle. Verbindet alle. In unmenschlicher Deutlichkeit sieht er Gesichter. Tausende in jeder Sekunde. Alle schreien. Schreien den Rest ihres Lebens. Und darüber hinaus. Die Schwärze drängt in die Augen, den Hals. Tiefkalt, körperlich. Fickt und spritzt in jede Öffnung. Reißt, dehnt, tobt. Kollektives Brüllen hüllt die Welt ein. Die Schmerzen sind vor dem Erwachen da. Gut. Schmerz heißt leben. Steife Gliedmaßen, Brüche, Quetschungen, Erfrierungen, Kotzegeruch. Heiserkeit. Das Wasser rauscht in die volle Wanne. Hohles Gurgeln im Überlauf. Zu spät. Trotzdem: Er hat überlebt. Ein weiteres Mal. Stöhnend, nackt und versehrt kriecht er aus der Wanne, rutscht vom Rand. Wiedergeboren auf nassen Fliesen robbt er halb blind zum Handy. Rausfinden, wer diesmal nicht mehr da ist.