Gräten

„Ja, alle Indizien deuten darauf hin.“ „Tod durch Erhängung. Immer tragisch, den Angehörigen davon zu berichten. Ich glaube, dass wird diesmal gar nicht nötig sein ...“ Es war ein regnerischer Abend in der Helmut-Koch-Straße. Regen prasselte aus den dunklen Wolken auf die Dächer der Häuser hinab. Doch diesmal konnten die Einwohner des Viertels nicht ruhig schlafen, denn der Tod hatte sie heimgesucht. Und das nur wenige Häuser weiter. Polizeisirenen, Blaulicht, Absperrungen; der Tatort, die Hausnummer 4, wurde umstellt von Beamten, die dem tragischen Todesfall an diesem regnerischen Abend auf den Grund gehen wollten. „Sobald sie sich beruhigt haben, möchten wir Sie bitten, uns ein paar Fragen zu beantworten.“ Ein schluchzender Mann, mitte 40, etwas untersetzter mit Stoppelbart, nickte den Männern in blauer Uniform zu. Der gesamte Tatort wurde abgesucht. Überall wurde nach Fingerabdrücken gesucht, die Möbel wurden nicht verrückt, doch dabei lag die offensichtliche Antwort bereits vor den Augen der Polizisten. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Denn die Leiche des Opfers hang immer noch an dem Strick, mit der sie sich das Leben nahm. Ein Mann, Augen wie eine scharfsinnige Katze, gepflegte Undercut-Frisur, und tiefen Augenringen betrat den Tatort. „Inspektor Cattus“, begrüßten ihn die Polizisten. Er blickte langsam durch den ganzen Raum, so als würde er eine Zeichnung des gesamten Tatortes in seinen Gedanken erstellen. Natürlich nahm er auch Kenntnis von dem hängenden Körper, doch sein Augenmerk fiel auf etwas anderes. Auf die Person, die schluchzend und mit einer Decke umwickelt am Boden saß. „Guten Abend, mein Name ist Connor.“, sagte der Inspektor. „Hans Müller.“, sagte der schluchzende Mann leise. Connor Cattus beobachtete, wie ein Teller mit Fischresten auf den Tisch stand. „Ich verstehe.“, sprach der Inspektor ruhig. Müller war zwar kein untypischer Name, doch er wusste anhand der Situation, worum es ging. Warum der Mann weinerlich war und, dass er derjenige war, der die Polizei anrief. Das Opfer hieß schließlich auch Müller. In der Mitte des Raumes blickte Inspektor Cattus umher, analysierend betrachtete er alle möglichen Details. Er sah die antike Standuhr, offene Schubladen, leere Gläser auf einem Schreibtisch. Die Polizisten suchten den Tatort nach möglichen Anhaltspunkten für den Selbstmord ab, doch der Blick des Inspektors wirkte so, als würde er nach etwas anderem Ausschau halten. Inspektor Cattus bemerkte, wie die Polizisten sich leise besprachen. „Ja, keine Verletzungen. Von einer toxischen Vergiftung ist nicht auszugehen. Es sind aber eh nur Formalitäten, seine Todesursache liegt doch auf der Hand. Können wir endlich die Leiche abhängen?“ Dann gab einer der Polizisten dem Inspektor die Akte des Opfers in die Hand und wandte sich wieder dem bekümmerten Mann zu. „Wir würden Ihnen nun gerne ein paar Fragen stellen. Würden sie uns bitte nach draußen folgen?“, fragten die Polizisten einfühlsam. Der schluchzende Mann raffte sich auf und folgte den Polizisten bis zum Türrahmen. Inspektor Cattus‘ Blick ruhte erst noch auf dem Mülleimer, in dem die Gräten eines Fisches lagen, doch dann sah er zur Tür. „Verzeihung“, unterbrach sie der Inspektor. „Aber ich würde Herr Müller gerne selbst noch ein zwei Dinge fragen. Keine Sorge, es dauert nicht lange.“ „Natürlich, Inspektor Cattus.“, sagten die Polizisten devot und verließen das kleine Haus. „Mein Beileid für den Tod ihres Bruders.“, sagte Cattus vorsichtig. Der weinerliche Mann hatte sich mittlerweile ein wenig beruhigt. „Danke.“, sagte er langsam. Cattus entging es nicht, dass der Mann nie Augenkontakt suchte. Wahrscheinlich war er sehr schüchtern. „Wirklich eigenartig, oder? Recherche ist sehr wichtig, müssen sie wissen“, bei diesen Worten sprach er etwas gehobener, „laut seiner Akte hat ihr Bruder kein beschwerliches Leben gehabt. Stimmt das? Was meinen Sie?“, fragte Cattus etwas anmaßend. „Ich muss gestehen, dass ich nie besonders viel Kontakt zu ihm hatte.“, sprach der Bruder des Opfers. „O, das stimmt. In seiner Akte steht auch, dass sie weit entfernt voneinander wohnten. Norwegen! Ein sehr schönes Land. Aber leider nicht gleich nebenan.“ „Ja, da haben sie recht, Inspektor.“, sagte er etwas verlegen. Cattus starrte ihn eine Weile etwas gedankenversunken an, bis er zu der hängenden Leiche blickte und die Reste des Fisches auf dem Teller und in dem Mülleimer seine Aufmerksamkeit erhaschten. „Wenn Sie mich entschuldigen würden, ich will diesen Ort gerne verlassen.“, sagte Hans Müller und machte Ansätze, um den Tatort zu verlassen. Dann sprach der Inspektor wieder, doch diesmal in einem etwas anderen Tonfall. „Ach ja, eine kleine Sache ist mir in der Akte noch aufgefallen. Hans Müller wohnt nicht in Norwegen.“

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