Jäger oder Gejagter?

Winselnd, blutverschmiert, um das Leben bettelnd. So lag es da, dieser furchtbar grausame Anblick. Der Anblick des Rehs war nervenaufreibend und erschütternd, doch nicht für den Jäger. Jan der Jäger war ein abgehärteter Mann, schon seit Ewigkeiten ging er auf die Jagd, um seine Trophäensammlung zu erweitern. So wie an diesem sonnigen Morgen, an dem er seine Waffe auf ein Reh gerichtet hatte. Es lag da, im gleißenden Sonnenlicht unter den dichten Bäumen des Waldes. Verletzt, und mit einer Falle gefesselt. Und über diesem, zwischen den Blättern leidenenden Tier, stand er. Mit stolzem, erhobenem Haupt, Jan der Jäger. Seine scharfen Augen und seine Hakennase verschwanden unter dem Schatten des Jägerhutes. Mit beiden Händen griff er fest das Schussgewehr. An seinem schiefen Grinsen konnte man erkennen, wie er diesen Moment vergötterte. Dieses Gefühl der Kontrolle, der Herrschaft, dieses Gefühl der Dominanz. Das schien ihm wichtiger zu sein als alles andere. Doch, das war für ihn nicht verwunderlich. Jans Vater sagte ihm früher immer: „Es gibt zwei Arten von Lebwesen auf diesem Planeten. Die Menschen und die, die ihnen dienen.“ Jedes Mal wenn sie Jagen waren, sprach Jans Vater diese Worte. Auch in der Erinnerung, in der er seinem Sohn zwang, ein Kaninchen zu häuten. Und immer noch lag es da. So schwach und ängstlich, so hilflos um das Leben bettelnd. Jan der Jäger hob sein Gewehr. Die Waffe war auf den Kopf des Rehs gerichtet. In wenigen Sekunden sollte das Tier sterben müssen. Es war gebunden an dem Seil, das es fing. Es war schwach und hilflos. Doch dann, als Jan gerade den Abzug drücken wollte, fiel ihm etwas auf. Etwas, das er so noch nie zuvor gesehen hatte. In dem Auge des Rehs konnte man etwas erkennen. Es war Angst, Angst vor dem Tod. Hinter den Pupillen war keine leblose Hülle eines Nutzens, es war wie Leben. Leben, dass Jan sah. Angst, Wunsch, Leben; keine Instinkte oder Bedeutungslosigkeit. Jan war gerührt, die Waffe blieb in der Luft. Der Abzug wurde gedrückt, die Waffe schoss. Doch die Patrone traf nicht auf das Reh.

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