Die Frauen von Worpswede.

Worpswede, Worpswede, Worpswede!

Versunkene-Glocke-Stimmung!

Birken, Birken, Kiefern und alte Weiden.

Schönes braunes Moor, köstliches Braun!

Die Kanäle mit den schwarzen Spiegelungen, asphaltschwarz.

Die Hamme mit ihren dunklen Segeln,

es ist ein, es ist ein

Wunderland,

ein Götterland.

schreibt Paula Modersohn-Becker am 24. Juli 1897 über ihren ersten Besuch in ihr Tagebuch.

Den Spuren von Paula, aber auch Clara und Martha, möchte ich heute folgen und lenke mein Fahrrad, dem Fritz-Overbeck-Weg folgend, über den Weyerberg zum Barkenhoff (niederdeutsch für Birkenhof).

Dabei passiere ich den Brünjes-Hof, in dem Paula ihr Atelier eingerichtet hatte.

Auch der Barkenhoff ist eines der üblichen Gehöffte, aber Heinrich Vogeler, architektonisch begabt, und der Vision folgend, Schönes zu schaffen, entwickelt das Anwesen zu einem Schmuckstück mit prächtigem Park.

„Licht sei sein Loos, /

ist der Herr nur das Herz und die Hand des Baus, /

mit den Linden im Land /

wird auch sein Haus schattig und groß.“

dichtet Rainer Maria Rilke, verewigt auf dem Portal der Nordseite.

Ich war bisher kein Fan von Rilke und werde es vielleicht auch zukünftig nicht werden, aber ich habe doch auf dieser Reise einen etwas anderen Zugang zu ihm gefunden und war überrascht zu erfahren, dass das Leben in der Künstlergemeinschaft in Worpswede ihm zum Ruhm verholfen hat.

Heinrich Vogeler wurde von seiner späteren Frau unterstützt, die das Kunsthandwerk salonfähig machte.

Diese Frau, Martha, ist vielleicht eine der bemerkenswertesten Frauen der Pionierzeit. Sie ist in Worpswede geboren und unterstützte nach dem frühen Tod des Vaters die Mutter im Kampf um die finanzielle Absicherung mit Hilfsjobs.

Heinrich und sie entwickeln früh eine besondere Beziehung, da sie ihm Modell steht. Da sie viel zu jung war und vielleicht auch zu ungebildet, wenn man der Literatur glauben darf, dauert es aber noch einige Jahre bis es zur Vermählung kommt. Sie wird fortgeschickt. Nach Bremen, nach Dresden. Sie lernte Fremdsprachen, besucht Kunstausstellungen und Konzerte, lernte Applikationsstickerei.

Anders als Paula und Clara, die das Leben in Großstädten genossen und alles aufsogen, was angeboten wurde, hatte sie stets Sehnsucht nach der Heimat. Und doch erfährt sie auf diese Weise eine umfangreiche Bildung, die sich auch in ihrer Rechtschreibung und Ausdrucksfähigkeit widerspiegelt.

Während ich im Pavillon des Anwesens verweile, Garten und Haus betrachte und mir vorstelle, wie hier musiziert, gedichtet, gemalt und gewerkelt wurde, denke ich auch daran, dass die Künstlergemeinschaft der frühen Pioniere sich bald schon zersplitterte.

Fritz Mackensen und Hans am Ende, Otto Modersohn und Fritz Oberbeck gehören nicht zum inneren Kreis der Barkenhoff – Familie. Wollten es wohl auch nicht.

Fritz Mackensen und Hans am Ende schaffen Bilder nach Muster der altdeutschen Maler. Während die beiden anderen Gruppierungen neue Wege einschlagen.

Vom Barkenhoff führt mein Weg am schlichten, gelben Holzhaus der Modersohns vorbei, in dem auch das Museum untergebracht ist.

Dann geht es ein zweites Mal hinauf auf den Berg und ich parke mein Rad am Ende des Friedhofs.

Ich gehe um die Kirche herum und entdecke das Gemälde “Gottesdienst im Freien” von Fritz Mackensen. Auch wenn es nicht das Original ist, erlaubt es, sich darauf einzulassen. Sich hinein zu versenken und in die damalige Zeit abzutauchen.

Das Grab von Paula, Ninjas, nach allem, was wir über Paula und ihre Kunst sowie das Leben der Modersohns wissen, hätte die Grabgestaltung ganz sicher nicht ihren Geschmack getroffen.

“Da trat ein Mensch zu uns herein, dessen Bild sich auf eine besondere Art einprägte. War es die Haltung, die entschlossener schien als die anderer Menschen, der kluge Blick? … Die möchte ich zur Freundin haben.”

schreibt Paula in ihr Tagebuch.

Gemeint ist Clara Westhoff, die zukünftige Frau von Rainer Maria Rilke.

Und es leuchtet ein, dass hier mit Paula und Clara zwei Menschen aufeinander treffen, die sich gegenseitig anziehen, fördern und zu Albernheiten auffordern.

Eine davon war das Sturmleuten im Glockenturm der Zion Kirche auf dem Weyerberg.

Und weil es hierfür Buße braucht, sind die beiden Künstlerinnen verdonnert, die Kirche zu verzieren. Die Bildhauerin Clara mit den Engelsputten und Paula mit Blumenschmuck.

Diese kleinen Kunstwerke werden später von den Nazis als entartete Kunst deklariert und übermalt, weil Künstlerinnen wie diese nicht in ihr Frauenbild passten, und haben Schaden genommen.

Symbolisch stehen sie auch für die Zerbrechlichkeit der Künstlergruppe, die nie eine echte Gemeinschaft war.

In der Kunsthalle in Worpswede ist das Werk “Sommerabend auf dem Barkenhoff” von 1905 anzuschauen. Heinrich Vogeler hat 5 Jahre daran gearbeitet. Und das Ergebnis stellt gleichzeitig die Veränderung dar.

Martha steht im Mittelpunkt und am Gartentor, sie schaut in die Ferne. Es wird nicht mehr lange dauern, bis sie das Tor öffnen wird.

Der Höhepunkt der Künstlergemeinschaft war überschritten. Bald würden sie ihrer eigenen Wege gehen.

Ein letztes Moorbad, ein Moorbier. Am nächsten Morgen wird es durch die schöne Landschaft heimwärts gehen.

Sehr schön gemacht ist der Film “Paula” aus dem Jahr 2016.

Die besondere Welt auf dem Barkenhoff findet in dem Film “Heinrich Vogeler – Aus dem Leben eines Träumers” Ausdruck. (2022)

Weitere Videoclips und Informationen zu Paula Modersohn-Becker sind hier zu finden.

Eine kurzweilige Lektüre mit vielen unterhaltsamen Details ist das Buch “Worpswede – Leben in einer Künstlerkolonie” von Friederike Schmidt-Möbus aus dem Jahr 2012.