Autismus, Spezialinteressen und das Leben ist seltsam
CN: (internalisierter) Ableismus, mentale Gesundheit
Tja, nun ist es wohl soweit. Über 40 Jahre lang waren Computer mein zuhause, mein safe space und mein einziges Spezialinteresse. Ich habe mit ihnen sicherlich mehr Zeit verbracht als wenn ich alle anderen Tätigkeiten zusammenfasse, inklusive schlafen. Okay, dasz klingt dann doch etwas zu hochgegriffen :) Vielleicht auch nicht.
Zeitsprung 5 Jahre zurück, 2019, prä-Corona wird diese Zeit wohl später genannt werden. Dort, ja dort begann alles. Ein (im nachhinein) sogenannter autistic burnout inclusive ausgeprägter generalisierter Angststörung war der Auslöser der mich nach 2 Jahren Wartezeit in die Hände einer angehenden Psychotherapeutischen Person brachte. Dort bemerkte diese im Laufe der Therapie: “Zwei ihrer Kinder sind im Autismus Spektrum und ihr Vater scheint Verhalten aufzuweisen, welches in das Spektrum passen könnte” und gab mir dann den folgenden Rat: “Vielleicht sollten sie sich (ebenfalls) diagnostizieren lassen.”
Ich glaube viele spät-diagnostizierten Menschen im Autismus Spektrum oder auf einem anderen neurodivergenten Spektrum haben diesen einen Moment in ihrem Leben für den das “exploding head” Emoji 🤯 quasi erschaffen wurde.
Andererseits gibt es auch immer mehr jünger diagnostizierte Menschen (wobei gender, race, class und andere Intersektionen hier immer noch starken Einfluß haben) sowie Menschen, die sich bereits in einer Achterbahnfahrt (des medizinischen Systems) befinden oder sich zielstrebig auf eine Diagnose zu bewegen, so denn alle Barrieren, gesellschaftlichen und staatlich/medizinischen Marginalisierungen und Diskriminierungen erfolgreich überwunden werden konnten.
#Exkurs Diagnose: Ob Mensch eine Diagnose braucht, wünscht, benötigt, ablehnt usw. hängt von vielen Faktoren ab wie Alter, sozio-ökonomischer Status, sog. “Grad der Behinderung”, (Care)-Arbeit, Community & private Strukturen, staatliche und therapeutische Infrastruktur uvm. Was diese Diagnose dann im Einzelfall “bringt” ist nochmal wieder ein Extra Geschichte. Zum Thema welches Modell von Behinderung hier zugrunde liegt (medizinisches) und was z.B. die Disability Studies dazusagen, dazu kommen wir an einer anderen Stelle :)
Hier gehe ich auf die intrinsische Motivation ein, welche in jedem Menschen innewohnt (ja auch Aut-isten, sic! –> Aut[ós] = selbst)
dem Wunsch der Zugehörigkeit (zu einer oder mehrerer Gruppen)
Nicht umsonst sprechen viele vom “wrong planet syndrome” oder bezeichnen sich selbst (oder manchmal auch die neuro-typischen Mitmenschen) als Aliens.
Und da ist es wieder das (pop-kulturelle) Bild vom Autisten (absichtlich nicht entgendert, da fast alle Repräsentationen männlich und weiss markiert sind): in-sich gekehrt, ja gefangen, hilflos, überfordert, emotions- und ausdruckslos, kann (und will?) nicht mit der Aussenwelt kommunizieren. Idealerweise mit “Super-Intelligenz” oder extremster Spezialbegabung (wir reden von 150 Menschen weltweit insgesamt) um diesen noch als Witzobjekt, Kuriosum und vielleicht für Krieg und/oder Kapitalismus (aus)zunutzen (zu Hans Asperger und den Nazis kommen wir noch).
Ja diese Dichotomie, dieser Widerspruch, diese ableistische Reduzierung, Objektifizierung und Infantilisierung die kannte ich natürlich auch. Bei unseren Kindern waren wir ja schon live mit dabei. Und es war – wie immer ™ – komplexer, vielschichtiger, multi-modal und abhängig von sovielen Faktoren, Privilegien und Umgebungsvariablen.
Eigentlich müsste ich diesen Tag als meinen “neuen” Geburtstag feiern. Ich will keine Vergleiche zu anderen Intersektionen, Traumata, Erlebnissen und Diagnosen etc. aufmachen. Ich fühlte mich jedoch im nachhinein wie “neugeboren”.
Warum jetzt mein ur-eigenstes Spezialinteresse “Computer” daraufhin über die letzten 5 Jahre dran glauben musste davon später mehr :)
Nur soviel vorab: Meine Privilegien (weiss, cis/endo maennlich, hetero, able-“bodied” und viele viele mehr), deren Realisierung und Verlernen der *ismen, Biase und Systeme sowie öffnen und unterstützen der Räume hatte einen großen Einfluß.
Auf diese Reise hatte ich mich schon (unbewusst) das ganze Leben lang gefreut. Eine Reise die erstmal bei und in mir begann.
Und das tat sie u.a. mit einem Computer (sic!) Spiel welches ich damals gerade spielte: “Life is strange (2015)”
P.S. warum ich immer 42 neue Fäden aufmache? :D Ein weiterer bunter Blumenstrauß wartete bereits auf mich: ADHS ;)
#ableismus #autismus #meinegeschichte #lifeisstrange #adhs #audhs