Wald und Höhle

Heute natürlich prompt überhaupt nicht geradelt. Wie es eben so ist, wenn man am Vortag großspurig die Gründung eines Radeltagebuchs annonciert hat. Es ist aber auch ein komisches Wetter zur Zeit, man schlägt bei Sonnenschein die Wohnungstür zu, und bis man unten am Hof ist, haut es einem die Hagelkörner um die Ohren. Stattdessen weiter in den Stories von Philip K. Dick. Was für ein Meister! Dystopische Horrorgeschichten zum Totlachen, Kafka im Spaceship. Bin durch Jonathan Lethem auf ihn gekommen, der ja wirklich von den noch Lebenden mein eigentlicher Lieblingsautor ist, und also in seinen autobiographischen Essays lang davon spricht, wie sehr er durch Dick beeinflusst wurde. Natürlich katastrophal übersetzt, wie eigentlich alle Bücher von Lethem, allein der Titel schon: „Bekenntnisse eines Tiefstaplers“. Im Original heißt das Ding „The Ecstasy of Influence“, ich meine, wie kommt man auf so einen Schmarrn von Übersetzung? Beziehungsweise: warum übersetzt man nicht einfach, was da steht, statt selber zu meinen, man habe den noch viel passenderen Titel als der Autor selber. Ich füge hinzu, dass es sich hier um Übersetzer handelt, die offenbar noch nie etwas von Walter Benjamin gehört haben, und auch keine Lust hatten, den mal zu googeln, plötzlich ist da von Benjamins „Arkaden-Projekt“ die Rede, das ist doch grotesk, ich musste wirklich laut auflachen.

Im Grunde ist es meine Tragödie, dass mein Englisch so schlecht ist, man müsste all diese Werke eigentlich im Original lesen. Das ganze Deutsch müsste man letztlich jetzt wirklich mal abschaffen, diese schreckliche Sprache, kein Mensch versteht dieses grässliche Gekrächz.

Vorrede

Wald und Höhle beginnt mit dem dümmsten aller Fehler: Wald und Höhle erklärt sich.

Natürlich ist Wald und Höhle von Goethe, ihr alle habt Wald und Höhle von Goethe schon mal gelesen, es ist eine Szene aus dem Faust. Ihr kennt doch den Faust?

– Den Doktor?

– Meinen Knecht!

Genau. Und der Faust beginnt, wie jedermann weiß, im Studierzimmer, und endet im Kerker, und dazwischen kommt irgendwo Wald und Höhle, als Gegenszenario zur Studierstube, so haben wir das in der Schule gelernt. Offen Feld, Wald und Höhle, diese offenen Naturräume als Gegenpole zur Enge der Gelehrtenklause, wo der Faust das Wissen, nach dem er so irrsinnig verlangt, eben nicht kriegen kann, weil es aus den Büchern eben mal nicht raus kommt. Und drum nach Sichten und Ordnen jetzt halt Wald und Höhle, und mehr erkläre ich hierzu jetzt wirklich nicht mehr, den Rest muss man sich selber dazu denken.

Beziehungsweise muss ich natürlich den Rest von Wald und Höhle erstmal schreiben, bevor die sicherlich zahlreichen Leser sich noch viel mehr gedankliche Reste zu Wald und Höhle dazu denken können, auch klar. Was also will Wald und Höhle sein?

Wald und Höhle will flüchtig sein, temporär begrenzt, anspruchslos und gut. Ein Jahr, dachte ich, könnte ein guter Zeitraum sein. Mir hat nie eingeleuchtet, warum Schriftsteller ganz viele Romane schreiben dürfen, Blogger aber immer nur an ein einziges Lebensblog gefesselt sein sollten. Dies war einer der tausend Gründe für den Shutdown von Sichten und Ordnen, und ist somit einer der ungefähr fünf Gründe für Wald und Höhle.

Wald und Höhle ist vor allem Schrift, nichts weiter. Kein der Blog oder das Blog. Es entsprießt der Überzeugung, dass die Blogs tot sind, die Blogosphäre immer schon ein Irrtum war, und ich dennoch einen Ort zum Veröffentlichen meiner Schrift haben will, wo ich vorher keinen Verleger und keinen Lektor und keinen sonstwie gönnerhaften Gönner fragen muss, ob ich das darf.

Was genau Wald und Höhle sein wird, weiß ich gegenwärtig selber noch nicht so richtig, aber vermutlich wird es auch etwas so komplett prosaisches wie ein Radeltagebuch sein: Ich hab mir vorgenommen, ein Jahr lang möglichst jeden Tag eine Stunde auf dem Fahrrad zu verbringen, und so beginnt Wald und Höhle mit dem Bericht: Heute Kronprinzessinnenweg bis zum Wannsee geradelt, wo, als ich noch überlegte, bis rüber zum Kleistgrab zu gehen, plötzlich Hagel und Regen einsetzten, Sturm, dunkle Wolken, so dass ich mich statt Kleistgrab lieber an einem beliebigen Wannseekiosk unterstellte und den dann doch nur ganz kurzen Regenguss dort abwarten konnte. Wahrscheinlich war Kleist sauer, dass ich den Titel meines neuesten Werks ausgerechnet von Goethe klaue. Rückweg unspektakulär, der Regen hörte dann wieder auf.

Die Schnelligkeit der Rennradlerschwärme, die einen am Kronprinzessinnenweg von Zeit zu Zeit überholen, ist mir nach wie vor unerklärlich.